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Reportage Larzac |
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Liebe Beate Seler, hier ist mein Larzac-Artikel. Meine Freundin, die das Notebook dabei hatte, kam gestern nicht durch die Strassensperren. Ich tippte den Text auf Word Pad Unter ziemlich steinzeitlichen Bedingungen, ohne Word, ohne Zeichenzählung, ohne Rechtschreibkorrektur auf einem alten PC der hier auf dem Larzac-Gelände herumsteht. Alle Viertelstunde piekst mich jemand in die Rippen, der das Gerät ganz dringend braucht. Du wirst den Artikel sicher kürzen müssen, ich konnte die Zeichen nicht zählen. Ich konnte den Text nicht ausdrucken oder sonstwie in Ruhe angucken. Habe unter den Umständen mein Bestes gegeben. Telefonisch erreichen kannst Du mich auf dem Larzac nicht, aber ich rufe Dich selbst um 15 Uhr an. Das Verkehrchaos war gestern auf dem Larzac gigantisch, deshalb bin ich hiergeblieben, statt den Text bei meinen Gastgebern bei Toulouse zu schreiben.
Beste Grüsse Katharina
Das Woodstock der WTO-Rebellen : Seid subversiv und lasst's Euch schmecken.
Haben Franzosen doch mehr Spass ? Drei Tage lang protestierten, debattierten und feierten 300 000 GlobalisierungsgegnerInnen auf dem Larzac.
Die Hügel des Larzac sind mit bunten Zelten bedeckt, soweit das Auge reicht. Wohl 300 000 Menschen bewegen sich am Samstag Nachmitag zwischen Campingplätzen, Zisternen, Restaurants unter freiem Himmel, Konzertgelände und Diskussionsforen. Und ja, die Sonne brennt, und die Leute schwitzen. Aber das bremst die Hunderte von Protestierenden in keiner Weise, die sich vor dem Empfangszelt aufgebaut haben. Schon vor dem "Startschuss" beginnen sie zu brüllen. Spitze Schreie, dumpfes Murren, rhythmisches Trommeln, schrilles Pfeifen : Mit der Aktion "Der grosse Schrei" protestieren Bühnenarbeiter und Schauspieler gegen den Abbau ihrer Sozialleistungen. So ernst die Lage auch ist, der übermut überwiegt, die allgemeine begeisterte Schreierei will gar kein Ende nehmen. Doch in den Foren wird die Lage der Kunstschaffenden mit grossem Ernst diskutiert. Denn auf dem Larzac ist der Kampf gegen die WTO nicht auf Patentierbarkeit von Lebewesen oder genetisch veränderte Getreidesorten beschränkt. "Natürlich", so Regisseurin und Gewerkschaftssekretärin Michelle Blumental, müssen sich auch Kulturschaffende gegen die WTO mobilisieren. "Es wird sonst bald keine kleinen, unabhängigen Ensembles und Produktionen mehr geben, Multinationale wie Virgin oder Universalis werden alles kaputtmachen." Die Kultur ist schliesslich keine Ware - und auch die Lehrer und die Beschäftigten aus dem Gesundheitsbereich wehren sich gegen drohende Privatisierungsbestrebungen der Regierung. Überhaupt sind so ziemlich alle gekommen, die in Frankreich für Bürgerrechte kämpfen : Aktionsgruppen für die Rechte der Migranten in den Vorstädten, für menschenwürdiges Wohnen, gegen Militär und Atomversuche. International sind Aktions- und Unterstützergruppen der Kurden und Palästinenser gut vertreten, aber auch Oppostionelle aus dem Irak sind da und "Landlose" aus Südafrika. Und -natürlich ! die Regionalisten. Denn die "Occitanistes", die sich für die südfranzösische Kultur und Sprache einsetzen, sind traditionell stark vertreten auf dem Larzac. Die Regionalsprache "occitan" auf deutsch : okzitanisch, beherrschen im ländlichen Süden Frankreichs heute etwa 2 Millionen Menschen aktiv . Zahlreiche Info-Durchsagen der Organisatoren schallen zweisprachig durch die Lautsprecher, auf französisch und "occitan". "Okzitanisch ist meine Muttersprache, meine erste Sprache" erklärt der Lehrer und engagierte Anti-Militarist Jean-Pierre. Er fordere zwar nicht die Unabhängigkeit des okzitanischen Kulturraums, wie manche radikale Regionalisten Südfrankreichs. "Aber unsere gemeinsame Sprache schafft starke Verbindungen unter uns." José Bové, Sprecher der "Confédération paysanne", kann zwar kein "occitan", denn er ist ein in den Siebzigern zugereister "néo-rural", der sich wie viele Franzosen seiner Generation auf die Suche machte nach einem anderen, alternativ-ländlichen Leben. Doch er ist unbetritten der Liebling und Held des Happenings auf dem Larzac. Der blauäugige Bauer mit dem unaufdringlichen Charme benutzt sein Charisma zurückhaltend und effizient. Von seiner eigenen Knast-Erfahrung wolle er nicht erzählen, wohl aber von den Leiden der Mitgefangenen, sagt er. Unmerklich bekommt man im Lauf seines sachlichen Berichts das Gefühl, selbst ein bisschen im Knast zu sein - und sich wehren zu müssen und zu wollen. Freundlich, aber beharrlich kommt der Vielumschwärmte immer wieder aufs Wesentliche zurück : Die Protestbewegungen vernetzen, bündeln,um vereint Druck ausüben zu können. Auf die WTO. Und natürlich auf die französische Regierung, gleich nach der "rentrée", der Rückkehr der Franzosen aus den grossen Ferien. Das Treffen ist mit der schier unglaublichen Effizienz organisiert, die Franzosen gern und oft zu Unrecht ihren deutschen Nachbarn zuschreiben. Die 40 oder 50 Klos, von Tausenden und Abertausenden bis zum Abend randvoll zugeschissen, reinigt morgens eine Firma aus dem Nachbarstädtchen. Eigenverantwortung wird ganz gross geschrieben, Abfall liegt gar nicht erst herum. Teams von Freiwilligen stürzen sich auf jedes Papierfetzchen, das doch einmal neben dem Mülleimer landet. Bauern der "Confédération paysanne" grillen Tonnen von Schafskotelettes und Schweinswürstchen, Bio-Betriebe tischen Gemüse und regionale Spezialitäten auf, bis sich die Klapptische biegen : Etwa den "Aligot" aus Kartoffeln und Schafskäse, den man mit der Gabel wie Kaugummi in die Länge ziehen kann und der nach viel Knoblauch schmeckt. Am Samstagabend schien es zeitweise einen kleinen Engpass in der Wasserversorgung zu geben. Doch davon liess sich keiner die Laune verderben. "Einfach mehr Bier trinken" empfahl ein magerer Braunhaariger. Überhaupt spiegelte sich blendende Laune auf den schweissbedeckten Gesichtern, die mit allen denkbaren Kopfbedeckungen von der Mitra bis zum Sombrero "behütet" waren. Neben bester ländlicher Nahrung gab es auf drei Bühnen engagierte Live-Musik von so ziemlich allen, die im französischen Alternativ-Milieu einen Namen haben : Okzitanische Folklore mit Jazz-Einflüssen von "La Talvera", Skacore aus dem Aveyron von "Vodska" - , und irgendwann morgens um drei : Politmusik-Ikone Manu Chao. "Er war toll !" schwärmt Öko-Bäuerin Valérie, "aber leider konnten viele Leute wegen Überfüllung nicht mehr aufs Konzert-Gelände." So ausgelassen man sich auf dem Larzac amüsierte, so kämpferisch und entschlossen debattierte man in den hochkarätig besetzten Foren. In der Veranstaltung "Aufteilung des Planeten durch Krieg und Kolonialismus" etwa beschrieb die engagierte Dokumentarfilmerin Mylène Sauloy ihren Erlebnissen in Tschetschenien. Saad Maliki, Flüchtling aus dem Irak, kündigte Widerstandsaktionen der iranischen demokratischen Opposion an : "Wir werden uns auf die Dauer nicht von den Amerikanern entmündigen lassen." Saadi bekam viel herzlichen Applaus für sein ehrgeiziges, aber wohl schwer zu realisierndes Vorhaben. Kult-Radiojournalist Daniel Mermet moderierte das Forum "Neoliberalismus durch Angst". Thoo Chit aus Birma sprach von blutiger Repression und Zwangsarbeit, durch die der Ölkonzern Total in Birma Arbeitskräfte "rekrutiert" und zu Gehorsam zwingt. Oméia Seddik von der Aktionsgruppe für Immigration und Vorstädte" berichtet von "Kolonialismus" in Frankreich selbst : Von den Ghettos der Vorstädte, in der sich viele Migranten der zweiten, dritten und vierten Generation gerade so über Wasser halten und "immer mal wieder" ein Kleikrimineller von Polizisten erschossen wird. Ganz und gar eitel Sonnenschein herrscht allerdings nicht : "Wie vor 30 Jahren" findet Feministin und Psychologin Françoise Millet : "Überall nur Typen auf dem Podium !" In der Tat. Zwar greifen viele oft sehr junge Schauspielerinnen, Bäuerinnen und Gewerkschafterinnen in den Diskussionen selbstbewusst zum Mikro, schreien ihren Frust und ihre Wut heraus, erzählen von ihren Kämpfen gegen Fast-Food-Ketten und rufen zu Streiks und Info-Aktionen auf. "Natürlich bin ich für den Streik beim Theaterfestival von Aurillac", erzählt etwa Michele Blumental. "Ich organisiere ihn sogar !" Doch die "Experten" sind fast alle männlich. Themen wie Zwangsprostitution oder die Arbeitsbedingungen von Fauen in Asien und Lateinamerika, die für Konzerne wie "Esprit" wie Sklaven schuften, stehen überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Als hätte keiner der OrganisatorInnen je Naomi Kleins Antiglobalisierungs-Bibel "No Logo" gelesen, oder die Arbeiten der engagierten französischen Soziologin Andrée Michel, in denen die Ausbeutung von Frauen und Mädchen und Frauen durch multinationale Konzerne detailliert beschrieben wird. Auch war viel von Missständen und Repression in den Vorstädten die Rede. Doch von den Protestaktionen junger Vorstadtbewohnerinnen im Frühjahr dieses Jahres gegen Bandenvergewaltigungen durch die eigenen Nachbarn redete Omeia Seddick vom Aktionskomittee Vorstadt nicht. Etwas schade auch, dass Nicht-Frankophone kaum eine Chance hatten, die Diskussionen zu verstehen oder mitzudebattieren : An Übersetzer hatten die Veranstalter wohl nicht gedacht. Trotzdem : 300 000 Teilnehmer der gigantischen Larzac-Veranstaltung, das ist ein unbestreibarer, ein "historischer" Erfolg, wie nicht nur José Bové findet. Wie wird es nach den Ferien weitergehen mit den Globalisierungsgegnern in Frankreich ? Werden sich im September ein paar Hunderttausend unzufriedene Franzosen aufmachen, den "Matignon", Sitz des Premierministers, zu stürmen ? Oder wird eine entschlossene Gruppe von Larzac-Guerilerosnach Cancun reisen, dum den Sitz des WTO-Treffpunkts auseinanderzunehmen ? "Das glaub' ich nicht !" grinst Philippe hinter seinem "Stop dem Waffenhandel"-Stand. "Du siehst doch, wie schnell die Regierung die Lehrerstreiks beendet hat. Das sind doch alles Kleinbürger. Viel zu freundlich !" Der Regierung werden sie im Herbst aber sicher einigen Ärger machen, die Franzosen. Und wahrscheinlich werden sie dabei auch noch ziemlich viel Spass haben.
Reporter web
Création de l'article : 10 août 2003
Dernière mise à jour : 20 octobre 2003
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> Reportage Larzac
11 août 2003, par
NOTE :
L'auteur de cet article nous a promis sa traduction.
Merci de patienter ;-)
Did
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